Nachdem wir in Folge 1 bereits darüber gesprochen haben, was unter Demokratie zu verstehen ist und welche Formen sie annehmen kann, widmen wir uns nun dem Faschismus: Was genau ist das eigentlich, wie gebrauchen wir den Begriff – und müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen?
Begleittext
Eine einheitliche wissenschaftliche Definition von „Faschismus“ existiert nicht. Allerdings ergibt sich durch die Betrachtung diverser Faschismustheorien aus der Politik- und Geschichtswissenschaft ein recht klares Bild wiederkehrender Wesensmerkmale: Er drehe sich um Kollektiv, Einheit, Nation, Rasse, Reinheit, Antiliberalismus, Antikommunismus, Führerkult, Gewalt, Mythen und eine Massenbewegung.
Im Zentrum solcher Betrachtungen stehen üblicherweise der Faschismus Mussolinis in Italien (der Begriff „Faschismus“ kommt von seiner Verwendung des Fasces-Symbols) und, in zweiter Linie, der Nationalsozialismus unter Hitler in Deutschland. Welche historischen Erscheinungen dem Faschismus letztendlich zuzurechnen sind, ob nicht vielleicht sogar nur Mussolinis Politik darunter verstanden werden sollte, stellt eine anhaltende Kontroverse dar.
Zum Zwecke eines groben Überblicks erwähnen wir im Podcast unter anderem folgende Theoretikerinnen:
- Ernst Nolte (später in rechten Kreisen rezipiert): Faschismus als antidemokratische und gewissermaßen gleichförmige Reaktion auf den bolschewistischen Kommunismus
- Roger Griffin: Faschismus als revolutionärer, palingenetischer und mythischer Ultranationalismus
- Stanley Payne: Faschismus als charakteristische Kombination von Ideen, Zielen und Organisationsformen wie beispielsweise Antimarxismus, Antiliberalismus, mythischer Nationalismus, Gewaltkult, Führerprinzip oder Mobilisierungsmassenbewegung
- Robert Paxton: Faschismus als politisches Verhalten zum Zwecke der Verwirklichung eines mysthisch-nationalistischen, homogenen Kollektivs (durch Massenpartei, Gewalt, Expansion, Antiliberalismus, Opferrolle etc.)
- Matthew Lyons: Faschismus als rechtsextreme Ideologie basierend auf dem Verständnis von einer Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft mit dem Anspruch der Wiedergeburt durch eine „spirituelle Revolution“ und der Reinigung von vermeintlich bedrohenden und andersartigen Kräften oder Gruppen
- Umberto Eco: „Urfaschismus“ als allgegenwärtige psychokulturelle Grundlage des Faschismus („ewige Versuchtung“) in der Form von beispielsweise Traditionskult, Feindbilddenken, Antirationalismus, „Neusprech“ oder Fremdenfeindlichkeit
Marxistische Denkerinnen bringen den Faschismus des Weiteren mit dem Kapitalismus in Verbindung: Demnach sei Faschismus etwa eine terroristische Herrschaftsform des Kapitals und eine (den Kapitalismus stabilisierende) Auswirkung des sich in der Krise befindenden Kapitalismus.
Ferner kommen wir kurz auf die Totalitarismus-Theorie zu sprechen:
- Hannah Arendt: Totalitarismus als ein System des Terrors (also des Eingriffs ins Private wider die Freiheit und Spontanität der Menschen beziehungsweise ihrer Instrumentalisierung/Reduzierung) zur Umsetzung spezifischer Ideologiekonstrukte („höheres Recht“) in gesellschaftliche Wirklichkeit
- Brzezinski/Friedrich: Totalitarismus als Umsetzung einer umfassenden, revolutionären Ideologie einer Einheits- und Avantgardepartei durch das Monopol an Massenkommunikations- und Terrormitteln (Polizei-Institution) sowie zentrale Planung
Angesichts der definitorischen Unschärfe des Faschismus-Begriffs, seiner hundertjährigen bedeutungserweiternden oder gar sinnentleerenden Verwendung als umgangssprachlicher Kampfbegriff und dem aktuellen Erstarken der extremen Rechten in vielen Ländern der Welt drängt sich für uns als demokratische Sozialistinnen die Frage auf: Wie sollen wir mit dem Begriff umgehen? Wie ihn verstehen, wie ihn verwenden?
Jans persönliche Antwort besteht in dem Versuch, auf Grundlage des Obengenannten den Kern dessen freizulegen, was unter Faschismus sinnvollerweise verstanden zu werden scheint, und ihn so anwendbar zu machen für gegenwärtige und zukünftige Bedrohungen aus freiheitlicher Perspektive. Eine Ideologie oder ein System sei dann faschistisch, wenn die Unterdrückung der Meta-Redefreiheit durch ein Wir-gegen-die-Narrativ begründet wird: homogenes Kollektiv versus Feindbild (und sei es nur Gleich- versus Andersdenkende). Dieses durchaus weit gefasste Verständnis führt zur Notwendigkeit einer Untergliederung durch Adjektive; demnach lässt sich von völkischem, rassistischem, antisemitischem, religiösem, zionistischem, islamistischem, hinduistischem oder auch sozialistischem beziehungsweise rotem Faschismus sprechen, um ein paar (kategorisch inkonsistente) Beispiele zu nennen.
Mehr dazu im Kapitel „Der Weg zum freiheitlichen Sozialismus“ (S. 53-64) in „de impletione“, siehe impletionismus.de.
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